#45 Abschied finden?

Nicht immer ist die Trauer um eine nahestehende verstorbene Person nur mit guten Erinnerungen verbunden. Wie geht man eigentlich damit um, wenn das schmerzhafte Verlustgefühl zusätzlich von Gefühlen wie Verletztheit, Wut oder Enttäuschung begleitet wird? Und all das nicht mehr mit dem betroffenen Menschen besprochen oder geklärt werden kann. Was macht das mit der Trauer? Felix, der meinen regelmäßigen Blogleser*innen durch seine Beiträge (#11/21/24/29/38/40) bekannt ist, hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt, da es ihn und seinen Trauerprozess betrifft.

Hallo Mama, hallo Papa,

das ist mein letzter Brief an euch, meine letzten Zeilen und Wörter. Danach werde ich versuchen, mit euch abzuschließen. Vergessen werde ich euch zwar nie aber ich möchte abschließen mit der Trauer und der Vergangenheit und ein neues Leben beginnen, in dem ihr zwar einen Platz einnehmt, aber nur noch einen kleinen.

Das Jahr 2017 werde ich so schnell nicht mehr vergessen, denn in dem Jahr habe ich euch verloren. Begreifen und verstehen werde ich das wohl nie, denn ich finde es bis heute gemein und unfair.

Doch hinter all der ganzen Trauer, die ich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren durch gemacht habe, steckt auch viel Kraft von mir und eine verletzte Seele. Denn auch wenn ich euch beide wahnsinnig lieb gehabt habe und immer noch habe, habt ihr mich auch viel und oft verletzt.

Ihr beide habt mir eigentlich nicht die Kindheit gegeben, die man sich als Kind gewünscht hätte. Nein, ich habe erlebt, wie euch der Alkohol immer mehr und mehr zerstört und eingeholt hat, das sind Bilder, die werde ich nie vergessen von euch. Auch die grenzverletzenden Übergriffe mir gegenüber – seien es Schläge oder auch mehr – werde ich nie vergessen.

Aber auch die guten Momente gab es bei uns. Auch diese werde ich nie vergessen.

In meiner Trauer habe ich mich oft an den guten Momenten festgehalten, denn ich wollte die negativen Seiten nicht wahrhaben. Doch leider gab es diese negativen Seiten auch, und ich werde ein Leben lang damit kämpfen müssen. Mich macht es traurig zu wissen, dass ihr mir so sehr weh getan habt, doch ich vermisse euch auch sehr, ich vermisse es, zu einer Person Mama sagen zu können oder auch einfach mal Papa. Mama und Papa, eigentlich habe ich euch so unendlich dolle lieb, aber ich frage mich in letzter Zeit immer mehr, warum habt ihr mir so weh getan und warum habt ihr mich zerstört, denn seelisch bin ich zerstört. Wenn ich euch noch einmal sehen und mit euch sprechen könnte, dann würde ich euch genau das fragen, wobei ich wahrscheinlich keine Antwort von euch darauf bekommen würde, auch wenn ich sie gerne hätte. Genauso wie auf die Frage, warum seid ihr tot.

Ja tot. Mittlerweile begreife ich, was es bedeutet, tot zu sein und das macht mir Angst. Oft frage ich mich, ob ihr Schmerzen gehabt habt oder ihr es nicht gemerkt habt. Ich muss mir diese Frage eigentlich nicht stellen, denn ich weiß, ihr hattet Schmerzen. Vielleicht keine körperlichen, aber seelische, denn ja, ihr habt auch Sorgen gehabt Ich vermisse euch, auch wenn wir nicht immer die tollsten und schönen Momente hatten. Liebe Mama und lieber Papa, ich bin jetzt selber ein erwachsener Mann, und ich möchte mit meiner Vergangenheit abschließen und mein eigenes Leben führen. Ich werde zwar immer wieder an euch denken, aber ich lass euch jetzt ziehen in den Himmel, und ich hoffe, ihr könnt dort ein neues und glückliches Leben führen. Ich liebe euch. Ich werde euch nicht vergessen, aber ich werde mein Leben jetzt genießen und anfangen, zu verarbeiten. Und dazu muss ich euch gehen lassen.

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Von Cordelia

2012 habe ich für die Stiftung Hospizdienst Oldenburg die Onlineplattform da-sein.de für trauernde und sterbende Jugendliche aufgebaut, die seit 03/2013 online ist.

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