Der Fragebogen zum Thema Verlust, Tod und Trauer. Inspiriert vom wöchentlichen politischen Fragebogen der ZEIT stelle ich Menschen von nebenan, aus unseren Reihen sowie dem öffentlichen Leben in und um Oldenburg stets dieselben 20 Fragen, um zu erfahren, was sie als denkende und fühlende Menschen in Bezug auf das Thema ausmacht – und wie sie dazu wurden.
Renate Lohmann, Dipl. Pädagogin, Leitung Stiftung Hopsizdienst Oldenburg
1 Welcher Verlust-Moment hat dich geprägt?
Geprägt? Ein großes Wort. Und auch nach längerem Überlegen fällt mir da nicht so recht etwas ein. Es gibt viele Situationen, gerade aus meiner frühen Zeit in der Altenpflege. Erlebnisse, die mein berufliches Verhalten und meine Suche nach Strukturveränderungen mit der Möglichkeit zum menschenwürdigen Verhalten in der Pflege von Menschen beeinflusst haben – und auch heutiges Verhalten und Haltungen erklären mögen. Das kann ich natürlich als Prägung verstehen, insbesondere, da es immer noch wirksam ist. Und wirksam ist für mein Engagement in der Hospizarbeit.
2 Was ist deine erste Erinnerung an den Tod?
Da habe ich ein deutliches Bild vor Augen. Meine Tante ist zusammen mit ihrem achten Kind während der Geburt gestorben. Zusammen wurden sie vor der Bestattung offen aufgebahrt. Meine Tante hatte ihr Kind dabei im Arm liegen. Meine Oma hat die Geschwisterkinder, ca. 8 – 2 Jahre alt, an den offenen Sarg geführt, und sie alle haben sich von ihrer Mutter und dem Bruder oder Schwester (das erinnere ich nicht mehr) mit Berührung und Worten verabschieden können. Der Sarg wurde dann verschlossen und die Bestattung begann. Ich war 9 Jahre alt.
3 Hast du eine Überzeugung, die sich mit den gesellschaftlichen Konventionen von Trauer nicht verträgt?
In der heutigen schnelllebigen, an Leistung orientierten Welt, scheint Trauer wenig Platz zu haben. Eine gewisse Trauerzeit mit traurig sein ist toleriert. Darüber hinaus muss Mensch wieder ins Leben zurückfinden. Doch Trauern ist auch Lebenszeit und nicht eine gesonderte, in einem eigenen Raum verharrende Zeit, die bei richtiger Bearbeitung erledigt werden kann und dann das richtige Leben wie gehabt weitergeht. Trauer bleibt ein Leben lang, auf die eine oder andere Weise!
4 Wann hast du aus dem Gefühl eines erlittenen Verlustes heraus geweint?
Da gab es schon viele Anlässe beruflich wie privat. Die Zeit nach dem Tod meiner Mutter ist mir dabei sehr deutlich in Erinnerung.
5 Hattest du schon mal das Gefühl, unsterblich zu sein?
Als ich den Gipfel des Antennenberges auf Antiparos kilometerweit gegen Sturm und dann nach einer Kehre mit dem Sturm im Rücken in erreichbarer Nähe wähnte, hatte ich das deutliche Gefühl: Jetzt kann dir gar nichts mehr passieren und du fährst direkt in den Himmel hinein. Endorphine pur – ganz ohne Drogen.
6 Wann hast du dich besonders ohnmächtig gefühlt?
Wenn Menschen Gewalt erfahren durch das gesellschaftliche oder politische System. Das ist so, weil es so ist. Zur Zeit erlebe ich das im Blick auf die Menschen, die in Altenpflegeeinrichtungen leben (müssen) und die zwangsbeschützt werden, ohne dass die psycho-sozialen Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre An- und Zugehörigen auch nur annähernd in den Blick genommen werden. Statt gut machen – gut meinen. Das lässt mich Ohnmacht fühlen.
7 Wenn die Welt in einem Jahr untergeht – was wäre bis dahin deine Aufgabe?
Zu lieben, zu lachen und zu genießen!
8 Bist du lieber dafür oder dagegen?
Lieber bin ich für etwas, das gibt Kraft für Begeisterung und zum Tun. Doch um das Dagegen sein komme ich nicht immer herum. Dann bin ich gerne dafür, dass ich dagegen bin.
9 Welche Überzeugungen in Bezug auf den Tod hast du über Bord geworfen?
Das es nur die anderen betrifft.
10 Hast du bereits eine/n Freund*in betrauert?
Ja, einen Freund, der viel zu früh und nach einer Tumordiagnose innerhalb von 5 Tagen auf einer Intensivstation in Oldenburg gestorben ist. Einen Freund, der mir ein wichtiger Meilenstein im Leben war und ist. Seine Lebenspräsenz, die Umstände des Sterbens auf der Intensivstation und sein Fehlen im Leben sind für mich unvergessen. Diese Erfahrungen waren auch nicht so schnell für mich einzuordnen. Ein Ruck durch das eigene Leben, der einiges verrückt hat.
11 Welche Ansicht deiner Eltern zum Thema Tod und Trauer war dir als Jugendliche peinlich?
Da ich von einem Bauernhof mit Nutztierhaltung komme, habe ich eher einen pragmatischen Umgang mit dem Tod erlebt. Er gehörte halt dazu. Genauso wie die Vorstellung, der Herr hätte seine/n Sohn/Tochter zu sich gerufen. Das war halt so und wem es hilft, „so what?“
12 Welche Phrase zum Thema möchtest du verbieten?
Wenn davon gesprochen wird, jemand habe jemanden verloren, dann möchte ich immer fragen: „Wo denn?“ Das verbiete ich mir dann selbst. Und benutze selber ausschließlich die Worte sterben bzw. verstorben sein.
13 Ist der Tod ein Mann oder eine Frau – oder divers?
Der Tod hat kein Geschlecht. Nicht mal eine Personifizierung. Der Tod ist eine Zuschreibung für ein Geschehen. Ein Geschehen, das mit mir geschieht – unabhängig vom davor und danach.
14 Und die Trauer?
Trauer ist ein Gefühl, das in mir ist und manchmal nach außen dringt und manchmal schläft und manchmal schreit und manchmal weint und manchmal weg sein will und manchmal erschreckt und manchmal auch erschrickt. Die Trauer lacht und lässt Neues zu und bewahrt Altes gleichzeitig. Ohne Trauer wäre unser Leben ärmer.
15 Was fehlt unserer Gesellschaft in Bezug auf Trauer?
Die Anerkennung der Sinnhaftigkeit von Trauer.
16 Bist du Teil der Lösung eines relevanten gesellschaftlichen Problems?
Nur insoweit, dass ich ein Teil der Gesellschaft bin und versuche in eben dieser Leben zu gestalten und eine Weile zu überleben.
17 Ein Buch über Tod und Trauer, dass man gelesen haben sollte.
„Ein sanfter Tod“ von Simone de Beauvoir, in dem sie den Tod ihrer Mutter, die Umstände des Sterbens und die Auswirkungen auf sich erzählt.
18 Der beste Witz über den Tod?
Es gibt bestimmt viele. Mir will doch jetzt kein einziger einfallen. Nicht das mir irgendein anderer Witz einfallen würde.
19 Hast du Angst vor dem Sterben?
Vor dem Sterben nicht. Eher vor der Frage bzw. der Vorstellung, nicht in einem Umfeld sein zu dürfen, in dem ich mich wohl fühle, sondern den Anforderungen eines guten Sterbens entsprechen muss, die andere an mich haben.
20 Was macht dir Hoffnung?
Das jeder Tag neu entsteht und Hoffnung mitbringt, einfach nur durch das Sein.